Die Achterbahn des Lebens & der Weg des Yoga
Carina Schneider • 13. Januar 2023
Über Social Media, meinen Yogaweg & die Tiefen im Inneren
Happy moderne Yoga-Welt?
Wenn man sich Instagram oder andere Social-Media-Plattformen anschaut, scheint sich beim Yoga alles um perfekt geformte Asanas zu drehen. Immer nur positiv denken. Diese schöne, moderne Yoga-Welt voller glücklicher, flexibler, starker Menschen. Nach der Yogastunde sind alle immer super entspannt und happy. Und irgendwie denkt man dann ganz unterbewusst: Ja, so muss das wohl sein. Genau das sind Wachstum und Fortschritt. Dass das eben Yoga ist. Versteht mich nicht falsch, für mich ist Körperbewegung ist ein wichtiger Teil von Gesundhaltung und Heilung. Aber zu viel von der toxischen Positivity und man sitzt da und denk sich: Mensch, was mache ich falsch? Bin ich gut genug? Und was ist mit all den Emotionen, egal in welcher Form, die während der Praxis auftauchen? Geht es nur mir so?
Hilfe! Was passiert hier?
Ich hatte schon jahrelang Yoga gemacht (sehr körperbasiert), als ich erst viel später so richtig aus der Bahn geworfen wurde. Während meiner ersten Yogalehrerausbildung bin ich tiefer in intensive Yogapraktiken eingestiegen, also auch Meditation, Atemtechnik, Philosophie. Und dann kamen plötzlich Dinge an die Oberfläche, die ich lange verdrängt hatte. Mein Körper war völlig ausgelaugt, ich war traurig, mein Darm meldete sich auch wieder zu Wort. Der Darm, der, als ich 16 wurde, als "chronisch-entzündlich erkrankt" betitelt wurde. Ich versuchte eigentlich schon immer die Starke zu sein, diejenige, die mit allem fertig wird, die sich keine Sorgen macht und nicht um Hilfe bittet. Am besten alles noch so perfekt wie möglich, damit man gut dasteht. Nein? Ein absolutes Fremdwort! Und dann kamen, mit knapp 30 Jahren, die oben beschriebenen Symptome, die ich lange überspielt hatte. Bis es eben gar nicht mehr ging. Rezidivierende Depression. Zack, einmal kurz den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich war völlig niedergeschlagen. Wie konnte das passieren? Ich hatte doch so viel mit meinem Körper und meinem Geist gearbeitet, und das ist das Ergebnis? Was mache ich falsch? Bin ich einfach zu schwach? Und da war ich wieder in meiner Gedankenspirale.
Tief im Inneren angekommen...
In Psychotherapie und Meditationsübungen habe ich es endlich verstanden: Ich bin tief in meinem Inneren, durch viele Schichten aus Verdrängung, in einer dunklen Ecke angekommen. Naja, hat auch nur knapp 30 Jahre gedauert ;-)...
Ich war damals nicht wirklich darauf vorbereitet: Intensive Yogapraxis kann
so viel freisetzen, kann tief in den Körper gehen, durch all die Emotionen, Gefühle, die man lange Zeit nicht fühlen wollte. Gefühle, die man vielleicht schon seit der Kindheit verdrängt. Ich bin für einen gewissen Zeitraum dort angekommen, wo ich Zugang zu einen Teil meiner tiefsten Emotionen gefunden habe – wusste nur überhaupt nicht, wie ich mit dem, was ich da gefunden hatte, umgehen soll.
Spirituelle Praxis - a work in!
Das Ziel aller verschiedenen spirituellen Praktiken ist, die Stille im Geist zu finden, selbst in den schwierigsten Situationen. Und dort wirklich anzukommen, ist harte Arbeit. Man muss (möglichst sanft und schrittweise) zurückblicken, den alten "Schlamm“ immer wieder nach oben holen. All die Emotionen, die im Körper (wirklich auch physisch im Körper, was Schmerzen & Entzündungen verursachen kann) gespeichert sind und die man nicht fühlen wollte, genauer unter die Lupe nehmen. Und dann geht es darum zu verstehen, dass diese Emotionen pure Energie sind, statt sie als Schwäche zu sehen, als Energieräuber. Man will dieses riesige Energiepotential nutzen.
Ihr kennt vielleicht die Geschichten aus traditionellen Yogaschriften, in denen Yogaschüler für Wochen, gar Monate in eine Höhle gehen. Dort meditieren, sich dem stellen, was tief verborgen im Innen ist. Wir müssen dafür natürlich nicht in die Höhle gehen, aber vielleicht auf unsere Yogamatte, besonders in den Momenten, in denen wir Trauer oder Wut spüren. Wo ist der Ursprung? Woher kommen diese Emotionen?
"Werkzeugkoffer für's Leben"
Es gibt einige Techniken, um damit umzugehen. Ich möchte es mal den „Werkzeugkoffer für’s Leben“ nennen. Yogaasanas, um durch Bewegung erst einmal ein wenig Stress abzubauen, Pranayama, Meditationen, Kraniosakraltherapie, Mantra-Chanting, Journaling, Traumatherapie, das Alleinsein und die Natur haben mir geholfen.
Das Allerwichtigste für mich war, zu verstehen: „Carina, du darfst Hilfe annehmen. Du musst nicht alles allein schaffen. Du musst es nicht allen Recht machen.“ Zu verstehen, dass man das nicht einfach nur durch positives Denken verinnerlichen kann, sondern das Ganze ja ins Unterbewusste, wo auch die automatisierten Trigger ablaufen, übergehen muss. Und: Das Leben ist ein stetiges Auf und Ab, doch wenn wir Dinge aufarbeiten, bleiben wir mit der Zeit immer mehr in unserer Mitte, auch wenn wir mal getriggert werden. Und diese "Trigger" müssen oft gar nicht so groß und "schockierend" sein, jeder schleppt doch alten Ballast mit sich rum, oder?
Nur durch das Annehmen von Hilfe können wir unser Wissen, unseren Werkzeugkoffer fürs Leben erweitern. Und nur so können wir diesen auch anderen weitergeben.
Das Ganze geht mal besser, mal schlechter. Man denkt sich: Ha, jetzt hab ich's! Und dann findet man wieder etwas, was einen runterschmeißt von Wolke "ich weiß, wie der Hase läuft".
Also:
So schön die Instagram-Yoga-Welt auch überwiegend aussieht, oft ist sie für mich nicht die ganze Wahrheit. Es ist ganz normal, dass es manchmal unbequem wird. Es ist ganz normal, dass es manchmal viel anstrengender ist, als gewohnt. Vor allem will ich sensibilisieren. Dafür, dass es keine Schwäche ist, Schwäche zu zeigen. Dafür, dass wir alle Ballast mit uns rumtragen und wie erleichternd es sein kann, ihn abzulegen, statt zu verdrängen.
Und: das schöne ist doch, dass du selbst entscheiden kannst, wie tief du gehen willst!
Ich bin ewige Yogaschülerin und darf jeden Tag dazulernen. Und wie schön fühlt es sich an, das mit euch zu teilen!
Eure Carina
Falls du überdauernde Traurigkeit, Müdigkeit, Schlaf- & Appetitlosigkeit u.ä. Symptome wahrnimmst, wende dich bitte an eine*n fachkundige*n Therapeut*in. Yoga ersetzt keine Therapie und ist immer nur unterstützend bei klinischer Symptomatik!